Der Reiserad Ratgeber

Wie sieht das ideale Rad für Touren oder Radreisen aus? Begriffe wie Touring, MTB Endurance, Gravel, Adventure, Trekking, Bikepacking können einen schnell verwirren. Eins Vorweg, Fahrrad-Reisen können mit unterschiedlichen Arten von Fahrrädern durchgeführt werden. Durch Anbringung von Satteltaschen und Trinkflasche wird ein MTB, Gravel- oder Trekking Bike bereits zum Reiserad. Fühlt man sich wohl darauf, steht der Tour nichts mehr im Weg. Dennoch sind Einsatzbereiche und die daraus resultierenden Anforderungen verschieden. Für die einen ist ein Wochenendausflug bereits eine anspruchsvolle Tour, andere durchqueren ganze Kontinente. Es ist klar das die Anforderungen an das Material wachsen, je abgelegener die Destination, je schwieriger die Ersatzteilversorgung oder je spezieller die Route ist. Das Setup für eine Alpenüberquerung von Garmisch zum Gardasee mit Übernachtung im Hotel wird somit anders aussehen, als bei einer Reise durch die Mongolei. Es gibt entlegene Ecken dieser Welt, in denen Verlass auf jede Komponente am Rad gewährleistet sein muss, da die Ersatzteilversorgung schlichtweg schlecht oder nicht vorhanden ist. Dementsprechend ist das mitzuführende Gepäck ein völlig anderes und auch die Wahl des Rahmenmaterials könnte plötzlich relevant werden. Aber genau diese verschiedenen Ziele und Bedingungen machen den Reiz von Radreisen aus. Jedem ist es selbst überlassen, sich sein persönliches Abenteuer individuell zu gestalten.

„Ich komme noch aus einer Zeit, in der man sich seine Ziel Destination nicht per Youtube Drohnenflug vorher angesehen hat. Man kannte den Namen einer Zielstadt und radelte einfach drauf los. Vor Reisebeginn wurde lediglich der Umgang mit Optionen definiert, der wie folgt lautete. Wenn es einen Feldweg als Alternative zur befahrenen Straße gibt, wird dieser auch gefahren. Sollte dieser recht holprig ausfallen, dann ist es eben so. Für meine erste Radreise durch Neuseeland viel damals die Wahl auf ein Mittelklasse MTB, andere Reifen drauf, Gepäckträger rangeschraubt und los ging`s. Mein Vorhaben war aber nicht einfach nur die Insel zu umrunden, ich wollte vor Ort die Berge per Rad erkunden, einen leinen Downhill genießen und einfach Spaß mit dem Rad haben. Auf einem Zeltplatz in Queenstown motivierte ich sogar mehrere Mountainbiker zu einem abendlichen Fahrrad-Fußball-Turnier und glaubt mir, es ging wild zur Sache. Obwohl auf der Straße ein Rennrad oder Trekkingrad sicherlich etwas besser gelaufen wäre, hätte ich nicht den gleichen Spaß gehabt. Für mich war somit das MTB damals die perfekte Wahl.

Mit einem Stahlrahmen und starrer Gabel ist man auch heute noch gut beraten. Dennoch macht es Sinn, sich vorher ein paar Gedanken darüber zu machen, wie der Einsatzbereich auf der Reise aussieht. Folgende Fragen sollen dabei helfen, das ideale Reiserad besser zu definieren.

Wohin geht die Reise?

Je abgelegener die Zielorte sind, bzw. je schwieriger die Ersatzteileversorgung werden könnte, desto mehr sollte man sich Gedanken bei der Wahl des Bikes, bzw. der verbauten Komponenten machen. Das edelste High-Tech-Teil bringt einem nichts, wenn die Ersatzteileversorgung still steht. Oft ist es die simple Technik, die sich leichter reparieren lässt, bzw. für die leichter Ersatz zu bekommen ist. Kurz gesagt, ein stink normaler Bowdenzug ist heute immer noch verbreiteter als Hydraulikleitungen und Entlüftungskits. Auch ist die Wahrscheinlichkeit bei einem gebrochenen Stahlrahmen Hilfe zu bekommen höher als jemanden zu finden, der Alu schweißen kann. Robuste zuverlässige Teile sind gerade bei Reiserädern eine vernünftige Investition. Ich nehme gern das eine oder andere Gram Mehrgewicht in Kauf, wenn dadurch die Wahrscheinlichkeit von technischen Problemen gesenkt wird.

Nicht zu unterschätzen ist die Tatsache, dass oft beim Transport Teile beschädigt werden. Manch einer kann sicherlich ein Lied von verbogenen Bremshebel oder abgeknickten Brems- und Schaltkabeln singen. Von 8ern in den Laufrädern ganz zu schweigen. Ohne jemand die Freude am Tuning nehmen zu wollen, wer in der Zivilisation unterwegs ist, der muss sich um robuste und zuverlässige Teile weniger Sorgen machen. Selbst Mittelklasse Komponenten sind in den meisten Fällen völlig ausreichend. Sollte trotzdem etwas den Geist aufgeben, begibt man sich einfach in den nächsten Fahrradladen und das Problem ist behoben. Dennoch gibt es ein paar Klassiker, die sich in der Reiserad Szene bewährt haben und aus diesem Grund werden diese gerne verbaut. Unverwüstliche Steuersätze der Marke Chris King, Rohloff Nabenschaltungen oder die gute alte zuverlässige Shimano XT Gruppe.

Fahre ich auf der Straße oder im Gelände?

Primär zielt diese Frage auf die Wahl des richtigen Reifens ab. Je geringer der Rollwiederstand, desto weniger plagt man sich auf seiner Reise – aber was rollt überhaupt gut? Luftdruck und Profil beeinflussen den Rollwiderstand elementar. Je höher der Luftdruck, desto geringer Rollwiderstand. Eine weitere Aussage ist zudem zutreffend. Stollen bremsen.

Ein Mythos ist, dass breitere Reifen schlechter rollen als Schmale. Der Grund warum breitere Reifen schlechter rollen ist, weil diese meist mit geringerem Luftdruck als der schmale Kollege gefahren werden und dadurch die größere Auflagefläche mehr Reibung verursacht. Da beim Tourenfahren neben dem Eigengewicht noch die Zuladung addiert werden muss, sollte der Aspekt des Komforts nicht außer Acht gelassen werden. Komfort erreicht man mit mehr Volumen. Die Grundfrage sollte somit lauten, mit wie wenig Stolle komme ich aus? Wir empfehlen so wenig Stolle wie es die Reise zulässt aber ein vernünftiges Maß an Volumen zu wähle. Sobald es ab ins Gelände geht, sind die Meisten über jedes Plus an Volumen froh, was über 40C Reifen hinaus geht.

Erwähnenswert ist zudem noch der Laufraddurchmesser. Je größer desto ruhiger rollt das Rad über Hindernisse, was ebenfalls einen Zugewinn an Komfort bedeutet, je unebener der Untergrund ist. 28“ bzw. 29“ Laufräder sind sicherlich eine gute Wahl für alles was da kommt, zudem ist an dieser Stelle noch erwähnenswert, das man nicht gleich ein Stollenprofil benötigt, bloß weil man auch auf Feldwegen unterwegs ist. Ein Reifen der gut rollt, kann wirklich den Fahrspaß heben und sich am Ende des Tages bemerkbar machen. Empfehlenswert sind Reifen mit Pannenschutz zu wählen. Früher war der Schwalbe Marathon solch ein Klassiker, aber mittlerweile ist die Auswahl riesengroß und es gibt  unzählige richtig gute Alternativen.

Welches Gepäck führe ich mit?

Zuerst sollte man sich bewusst werden, was alles mitgenommen werden muss. Für all das werden Transport- bzw. Befestigungsmöglichkeiten benötigt. Den größten Stauraum bieten der klassische Heck-Gepäckträge und die Lowrider an der Gabel. Auf diese Befestigungsoptionen sollte deshalb möglichst nicht verzichtet werden. Nicht zu vergessen die Montagemöglichkeiten für 2-3 Flaschenhalter.

Ich kann mich noch genau an meine erste Radreise erinnern. An alles war gedacht. Kartenspiel, Radio…Auf meinem hinteren Gepäckträger wackelte 9 Stunden Pro Tag ein Gepäckturm hin und her und auch der Rest war vollbepackt. An Tag 3 hatte ich die Schnauze voll. Das Equipment wurde radikal aussortiert und per Post Richtung Heimat geschickt. Ab diesem Tag begann die wahre Freiheit, alles was ich für 4 Wochen benötigte fand Platz auf meinem hinteren Gepäckträger.

Beim typischen „Bikepacking“ geht es sogar noch Gepäcksoptimierter zur Sache. Ziel ist es mit dem Rad so beweglich wie möglich zu bleiben. Das reduzierte Gepäck wird mit Gurten direkt am Lenker, unter dem Sattel und im Rahmendreieck befestigt. Manchmal werden leichte Gepäckstücke auch seitlich an der Gabel in sogenannten „Everything-Cages“ transportiert.

Die Marke Tubus ist in der Reiseradszene ein Begriff und äußerst beliebt. Die Dinger haben zwar ihren Preis, aber das auch zu Recht. Die Gepäckträger sind aus hochwertigen CroMoly Stahl gefertigt und haben sich bereits auf unzähligen Reisen um die Welt bewährt.

Welche Lenker eignet sich für Rad Touren?

Während die Einen auf sportliche Sitzpositionen und Bügellenker schwören, sitzt der Andere gerne aufrecht und entspannt. Du entscheidest, wie Du Dich am wohlsten fühlst.  Komfortable Sitzpositionen erkennt man daran, dass sich Griffe etwa auf Sattelhöhe befinden oder etwas darüber.  Natürlich spiel der Abstand zwischen Sattel und Lenker ebenfalls eine entscheidende Rolle. Selbst der Laie spürt jeden Zentimeter. Durch die Verstellung der Sattelposition bzw. durch die Anpassung der Vorbaulänge bzw. des Winkels lassen sich viele Räder Richtung Komfort oder sportlicher Position trimmen. Tourenräder besitzen oft mehrere Spacer unter dem Vorbau, um den Oberkörper etwas aufrechter zu bringen. 

Drop Bar sind wegen der Vielfalt an Griffmöglichkeiten sehr beliebt, die größte Verbreitung haben dennoch Lenker mit Lenkerhörnchen. Durch die Anbringung von Lenkerhörnchen bietet sich auch beim geraden Lenker die Möglichkeit mehrerer Griffpositionen.

Bei Drop Bars man muss sich aber vor Augen halten, dass die Position in der man Schalten und bremsen kann, gleichzeitig die tiefste und somit die unbequemste Position ist. Tendenziell sitzt man mit geraden Lenkern über den Tag gesehen öfter aufrecht.

Schutzbleche oder Nicht?

Die absolute Mehrzahl der Radreisenden setzt auf fest montierte Schutzbleche. Beim Bikepacking wird auf Schutzbleche oft komplett verzichtet. Das sogenannte „Seat Pack“, gerne auch als „Arschflügel“ bezeichnet“, dient hier als Schutzblechersatz.

Kettenschaltung oder Nabenschaltung?

Kettenschaltung sind seit je her am weitesten verbreitet. Gründe sind sicherlich das geringe Gewicht, das große Schaltspektrum welches sie bieten und die Tatsache, dass sie sich verhältnismäßig leicht warten lassen. Der Vorteil non Nabenschaltungen liegt klar auf der Hand. Sie sind weniger anfällig gegenüber Schäden durch äußere Krafteinflüsse. Ein Schaltauge oder Schaltwerk ist schnell mal verbogen, wenn das Rad ungünstig umkippt, bzw. ein Ast rein kommt. All das ist bei Nabenschaltungen kein Thema. Platzhirsch im Bereich Nabenschaltung ist hier die Firma Rohloff mit ihrer 14-Gang Speedhub. Im Bereich der Kettenschaltung ist die Shimano XT Ausstattung sehr beliebt, aber selbst weiter unten angesiedelte Gruppen sind für Radreisen jeglicher Art zuverlässig und völlig ausreichend.

Was gibt es bei dem Sattel zu beachten?

Einmal Brook, immer Brooks. Ok, zugegeben. Dieser Spruch stammt von mir und basiert auf meiner eigenen Erfahrung. Ich hatte mal einen B17 Sattel und es war mit Abstand das bequemste was ich jemals gefahren habe. Achtung, nicht verwechseln mit dem Model Brooks Cambium. Dieser Sattel sieht zwar Top aus, ist in meinen Augen aber prügelhart und sicherlich nicht für Jedermann.